Zachäus aus der Sicht einer Taube

Der Mann auf dem Maulbeerbaum

Flapp – Flapp – Flapp! Die kleine Taube Mirjam flatterte erschreckt hoch! Da war plötzlich eine Hand auf dem Baum aufgetaucht. Direkt neben ihr! Auf IHREM Maulbeerbaum! Und an der Hand, die sich da gerade an einem Ast festhielt, war ein Arm und sogar ein ganzer Mensch dran! Mirjam zog sich in das Blätterdach zurück. Da war doch tatsächlich ein Mensch, ein erwachsener Mann, auf ihrem Baum! Dass Kinder hier bei ihrem Baum spielten und hinaufkletterten, das kannte sie ja, aber gleich ein ganzer großer Mann? Was wollte der denn hier? Spielte der etwa Verstecken? Mirjam machte ihren Hals so lang sie konnte und besah sich ihren ungebeteten Gast. Sie hatte ihn doch schonmal gesehen, oder? Er trug einen langen dunkelroten Mantel, der kunstvoll bestickt war. Der Mann musste also Geld haben, denn so ein Stoff war teuer. Was wollte der hier? Der Mann beachtete sie nicht, sondern starrte hinunter auf den Weg, der direkt am Baum entlangführte.
Mirjam war das etwas unheimlich und machte sich bereit zum Starten. Sie würde sicher Unterschlupf bei ihrem Freund, der Taube Jonathan, finden. Jonathan wohnte in einem Baum an der Stadtmauer, direkt am großen Stadttor. Mirjam schlug mit den Flügeln – und prallte plötzlich zurück. Ihr Freund Jonathan landete recht ungelenk neben ihr. Fast hätte es einen Taubenunfall in der Luft gegeben. Aber nun war ja alles nochmal gutgegangen. Mirjam zeterte los: „Was soll das denn? Mich einfach so umzuflattern! Ich wollte doch gerade losfliegen, zu dir!“ „Jonathan schnaufte noch etwas vom schnellen Flug und der holprigen Landung. „Tschuldigung“, gurrte er. „Ich muss dir un-be-dingt was spannendes erzählen!“ Oh! Spannende Geschichten hörte Mirjam immer gerne. Sie legte ihre Flügel nochmal glatt auf ihren Rücken und sah ihren Freund an: „Na los! Ich bin ganz Ohr.“ „Du kennst doch Zachäus, den Zöllner, oder?“ Mirjam kniff ihre Taubenäuglein zusammen. „Vielleicht…“ gurrte sie. „Doch, den hast du schonmal gesehen, ganz bestimmt! Er trägt immer so schicke Umhänge, hat ziemlich viel Geld. Naja, er nimmt auch mehr Steuern, als er darf und das landet dann in seiner Tasche. Schneller, als du flattern kannst!“ Jonathan machte eine Pause. „Naja, jedenfalls hat dieser Zachäus heute mitbekommen, dass Jesus in der Stadt ist. Hörst du? JESUS!!!“ Mirjam blickte ihren Freund erwartungsvoll an. Ja, von Jesus hatte selbst sie schon gehört. „Jedenfalls ist Zachäus mit seinem roten Mantel heute zu den Menschen gelaufen, die um Jesus herumstanden und wollte auch zu ihm. Ging aber nicht. Er war zu klein und die anderen Leute ließen ihn nicht durch. Kein Wunder, er ist auch echt unbeliebt in der Stadt, dieser Zöllner.“ Jonathan atmete einmal tief ein und fuhr dann fort: „Naja und dann ist er weggelaufen. Immer dem Weg lang. Hier, in deine Richtung!“ Mirjam machte nun große Taubenäuglein und schob mit dem Flügel die Blätter neben sich zur Seite, so dass der Blick auf den Mann im Baum frei wurde. Sie sahen zu ihm, der da immernoch bewegungslos im Baum saß. „Meinst du den da?“ fragte Mirjam. Ja, der kam hier plötzlich auf meinen Baum geklettert und sitzt seit dem bewegungslos da und starrt auf den Weg. Jonathan überlegte: „Naja, diesen Weg muss Jesus langkommen“. Die beiden Tauben schwiegen und sahen zu, was geschah:

Jesus kam und mit ihm die ganze Menschenmenge. Aber er ging nicht vorüber, sondern blieb direkt an dem Baum stehen und sah Zachäus an. „Du bist Zachäus, der Zöllner, oder?“ Der Mann im Baum nickte. „Komm runter, Zachäus. Ich möchte heute in deinem Haus zu Gast sein. Lass uns essen und reden.“ Sehr schnell war der Zöllner vom Baum geklettert und Mirjam atmete auf. Ihr Baum war wieder menschenfrei!
Doch Jonathan drängt: „Lass uns auch dorthin fliegen! Ich will wissen, was die reden! Was für eine Ehre für Zachäus, dass Jesus gerade bei IHM essen will!“ Die beiden Tauben flatterten los.

Sie mussten noch etwas warten, bis die vielen Menschen, die natürlich nicht alle zu Zachäus zu Gast waren, sich auf den Weg zu ihren Häusern gemacht hatten. Dann landeten die beiden etwas versteckt in einem Lavendelstrauch am Fensterbrett. Sie spitzen die Taubenohren und versuchten, etwas vom Gespräch drinnen mitzubekommen. „Du hast Recht, Jesus“ hörten sie Zachäus sagen. „Das, was ich gemacht habe, war falsch. Ich möchte es wieder gutmachen. Ich gebe den Menschen, die zu viel bezahlt haben, ihr Geld zurück. Und die Hälfte von meinem Geld gebe ich den Armen.“ Dann war einen Augenblick Ruhe. Dann sprach Jesus und die beiden Tauben konnten an seiner Stimme hören, dass er lächelte. „Ich freue mich darüber, Zachäus! Es ist schön, dass einsiehst, dass du einen Fehler gemacht hast und ihn wieder gutmachen willst. Gott freut sich über dich und läd dich immerwieder ein, zu ihm zu kommen, weil du ihm wichtig bist.“ Dann ging die Tür auf. Mirjam und Jonathan flatterten auf und konnten nichts mehr verstehen. Sie machten sich wieder auf den Weg zum Maulbeerbaum. „Meinst du, Zachäus hat sein Versprechen gehalten?“ fragte Mirjam. Jonathan dachte nach. „Ich glaube schon. Er hat bestimmt ehrlich eingesehen, dass er einen Fehler gemacht hat. Er möchte wieder zu Gott kommen, das glaube ich ganz bestimmt!“