Als Noah eine Ausnahme machte
Als Noah eine Ausnahme machte
Über die ganze Welt und von Land zu Land ging Noahs Ruf: Von jeder Tierart sollen je zwei Tiere auf die Arche kommen und von der Sintflut verschont werden: Ein Männchen und ein Weibchen.
Aus den Wäldern traten Rehe, Wildschweine, Kaninchen, Luchse, Dache, Eichhörnchen und Mäuse – von jeder Art ein Paar. Aus der Steppe machten sich Löwen, Tigen, Gazellen, Antilopen, Wasserbüffel und Elefanten auf den Weg – von jeder Art ein Paar.
Aus den Wiesen und aus den Schlupfwinkeln folgten Fledermäuse, Spatzen, Heuschrecken und Libellen dem Ruf – von jeder Art ein Paar.
Noah stand vor seiner Arche, sein Haar stand ihm kreuz und quer vom Kopf und er versuchte, sich Gehör zu verschaffen.
„Wasserschweine? Wo seid ihr? Ah, alles klar, gleich vorne rechts bitte!
Sumpfohreulen? Prima, flattert bitte bis ganz nach oben.
Kreuzottern? Auch da? Dann rein mit euch!“
Ein Tierpaar nach dem anderen ging an Noah vorbei in die Arche und suchte sich seinen Platz. Noah hakte sie auf seiner langen, sehr langen Liste ab, die sich um seine Füße ringelte.
Langsam wurde seine Stimme auch etwas heiser und die netten Pandabären gaben ihm etwas von ihrem Eukalyptus ab, damit er darauf herumkauen konnte – es schmeckte scheußlich!
Dem armen Mann standen die Schweißperlen auf der Stirn und es kamen immer mehr und mehr Tiere! Zwischen seinen Füßen wuselten die Käfer und selbst auf seinem Kopf und seinen Schultern hatten es sich zwei Eichhörnchen und zwei Turteltauben gemütlich gemacht.
Es wimmelte nur so von Fell, Ohren, Hörnern, Feder, Krallen, Schnäbeln und Schwänzen! Die Luft war erfüllt vom Geschrei und Geschnatter, von Rufen und Wiehern, von Klappern und Piepsen.
Noah atmete erneut ein.
„Islandpferde? Wo seid ihr denn? Geht mal zur Seite, ihr Elefanten!
Ah, ja, sehr gut, rein mit euch und dann links halten.
Brachiosaurier? Ach nee, die Liste ist wohl etwas veraltet, ähm, kommen wir zum nächsten.
Was? Kakalaken sollen auch mit? Oje!“
Noah raufte sich die Haare! Das hatte sich Gott wohl schön einfach vorgestellt….
„Sem, Ham, Jafet! Kommt mal her und helft mir! Könnt ihr dieses ganze Gewusel hier mal etwas sortieren?“
Am Rande des Tiergewusels hielten sich zwei Rosenseeschwalben Flügel in Flügel, einer weitere trippelte daneben auf und ab. „Rosie! Wenke! Das geht doch so nicht! Nun seid doch dieses eine Mal wenigstens vernünfig!“ „Nein, Nein und nochmal Nein! Wir bleiben zusammen! Das muss dieser Mann da mit der langen Liste und den Hasenmäusen im Bart einsehen! Wir ´gehören zusammen und wir bleiben zusammen!“
„Aber ihr könnt euch doch nicht gegen Gottes Wort stellen! Er hat doch klipp und klar die Ansage gemacht, dass von jeder Tierart ein Weibchen und ein Männchen auf die Arche kommen sollen. Arterhaltung und so! Ich bin hier das Männchen und zur Fortpflanzung fähig! Und was macht ihr?“ „Du weißt genau, dass wir unser Leben lang immer nur mit Rosenseeschwalbenweibchen zusammenleben und nur mal kurz, wenn es um den Nachwuchs geht, besuchen wir euch und dazu brauchen wir euch Männchen. Aber ansonsten – Nein! Rosie und ich gehören zusammen! Zwitscherte Wenke nun inzwischen echt sauer. Rosie nickte bekräftigend.
Das Rosenseeschwalbenmännchen Artur trat ein paar Schritte zurück. „Dann klärt das mit dem gestressten Typen dahinten!“ Rosie und Wenke liefen los. Inzwischen hatte sich das Gewusel etwas gelegt, aber neue Probleme waren dazugekommen. Die Holzwürmer wollten auch mit! Auf ein Holzschiff, wochenlang! Noah wusste nicht mehr weiter.
Die beiden Rosenseeschwalben traten nun vor ihn hin. Noah sah gar nicht mehr richtig hin, hakte sie auf der Liste ab und winkte sie Richtung Schiff. Doch nein, da stockte er. „Moment! Ihr seid zwar zwei, aber hier stimmt was nicht!“ Rosie und Wenke zogen die Schwalbenköpfe ein. Da kam auch Artur mit dazu. „Das hab ich euch Mädels doch gleich gesagt! Seid doch wenigstens dieses eine Mal vernünftig!“ Noah sah nun die drei an: „Gottes Wort ist eindeutig: Zwei von jeder Art, je ein Männchen und ein Weibchen.“ „Eben!“ Artur plusterte sich auf. „Ich geh schonmal vor, ihr klärt das hier bitteschön!“
„Entweder beide oder keine!“ piepste Rosie und Wenke fügte hinzu: „Entweder beide und bums, Rosenseeschwalben gibt es nicht mehr!“
Noah seufzte. „Ich hab es geahnt, dieses Thema musste ja irgendwann mal kommen.“ Er blickte die beiden an, zuerst streng, dann verzweifelt, dann liebevoll. „Ihr habt euch echt lieb, oder?“ Wenke und Rosie nickten eifrig und klammerten sich noch fester aneinander.
„Dann, in Gottes Namen, kommt halt beide mit. Aber!“ nun wurde seine Stimme wieder deutlicher und lauter: Ihr müsst dann hier für diese Holzwürmer die Babysitter spielen! Dass die mir nicht unsrere schöne Arche versenken!“
Tränen der Erleichterung rollten von den Wangen der beiden Roseseeschwalbenfrauen und Arm in Arm gingen sie auf die Arche zu.
Noah sah ihnen nach und murmelte „Gott will, dass alle glücklich sind und in Liebe zusammenleben, Menschen und auch Tiere.
Und am Ende dieser Geschichte, als alle wieder trockenen Boden unter den Füßen hatten, was stand da bunt und leuchtend am Himmel? Ein Regenbogen!
Heike Neumann 2/2023