Nebelschnuffelchen und Knubbelgnome
Leseprobe aus dem Buch „Herbst in Pfifferlingen“
Nebelschnuffelchen und Knubbelgnome
Ein kalter Wind fegte durch Pfifferlingen. Die Wichtel Emil und Emilia, die einen Spaziergang machen wollten, schlugen die Kragen ihrer warmen Jacken hoch und waren froh, dass sie die Wollützen mitgenommen hatten. Die beiden gingen langsam, denn Emilia hatte einen dicken Babybauch und konnte sich nicht mehr so viel bewegen. Die weise Wichtelfrau Shila sagte sogar, Emilia hätte zwei Babys im Bauch.
Als dann die Sonne hinter den Wolken herauskam und alles in goldenes Licht hüllte, kamen noch weitere Bewohnerinnen und Bewohner von Pfifferlingen dazu: Auch Zwergenfrau Marika, die Trollmädchen Jonne und Merrit, Kobold Skadi und das Gnommädchen Mirella mit ihrer Mama Alma ließen sich vom Herbstlicht nach draußen locken und sie beschlossen, gemeinsam eine Runde durch den herbstlichen Wald zu drehen.
Als sie so den Weg zwischen den Bäumen entlangliefen, erzählte Marika die Legende vom Blätterdrachen:
„Vor langer, langer Zeit lebte einmal hier in der Gegend ein riesiger Drache, der aus bunten Herbstblättern entstand. Dieser Drache war so groß wie ein Berg und hatte leuchtende Augen wie grüne Smaragde. Er konnte Feuer spucken, aber er war auch freundlich und beschützte den Wald und seine Bewohner. Der Blätterdrache erschien nur einmal im Jahr – genau in der Nacht des ersten Frostes. Er flog dann über das Wichteldorf und den magischen Wald und ließ die Blätter tanzen.“ „Aber gibt es denn den Blätterdrachen immer noch?“, fragte Jonne und sah Marika an. Diese antwortete: „Ich weiß es nicht. Nur, weil ich ihn noch nicht gesehen habe, heißt es ja noch lange nicht, dass es ihn nicht gibt!“
Jonne nickte.
Plötzlich hörten sie leises Rascheln und Kichern im Unterholz neben dem Weg. Die kleine Gruppe blieb stehen und Kobold Skadi wollte schon in die Büsche hineinzukriechen um nachzusehen. Doch da kamen schon einige Gestalten aus dem dichten Wald und traten auf den Weg.
Es waren flauschige, graue Wesen mit langen Ohren, die genauso groß waren, wie Emil und Emilia, die beiden Wichtel. Mirella war das nicht so ganz geheuer und sie kuschelte sich an Alma. Sie lächelten und einer von ihnen sagte: „Einen guten Herbsttag wünschen wir euch! Ich bin Grauli. Das sind Silber, Hedda und Welli. Wir sind Nebelschnuffelchen.“ „Ach!“, rief Kobold Skadi aus. „So seht ihr also aus! Ich habe von euch gehört.“ „Nur Gutes, hoffe ich.“ erwiderte Grauli. „Ja, so sehen wir also aus. Wir sind Herbstwesen und tun niemandem etwas zu Leide. Sobald der Winter kommt, werdet ihr uns nicht mehr sehen. Genau wie die Knubbelgnome und …“ „Genau wie wer?“, unterbrach Merrit ihn.
Doch statt einer Antwort zeigte Grauli auf die Tannen, die einige Meter vom Weg entfernt im Wald standen. „Dort wohnen im Herbst die Knubbelgnome.“ Dann rief Grauli laut: „Wirbel! Flauschi! Knöpfchen! Kommt mal her!“ Zunächst regte sich nichts, dann sah es aus, als würden die Stämme und Zweige der Tannen breiter werden und langsam konnte man die Umrisse von kleinen, kugelrunden Wesen erkennen. Als sie näher kamen und mit unsicheren Blicken auf die Gruppe aus Pfifferlingen schauten, fing Emilia an zu sprechen: „Ach, ihr seht ja nett aus!“ „Wir sind Knubbelgnome“ flüsterte der größte, als sie alle auf dem Weg
angekommen waren. Sie hatten lustige, wirre, wilde Haare, die ihnen vom Kopf abstanden, trugen Kleidung aus bunten Blättern und dicke Nasen wie Kartoffeln.
„Ich bin Knöpfchen“, stellte sich nun einer der Knubbelgnome vor. „Ich weiß nicht, wann uns zuletzt jemand außer den Nebelschnuffelchen gesehen hat. Eigentlich sind wir lieber versteckt. Aber wenn im Herbst manchmal merkwürdige Dinge passieren, dann könnten wir dahinter stecken…. Hihi!“ Knöpfchen kicherte und die anderen stimmten mit ein. Nun sprach Marika: „Was für eine Ehre, dass wir euch sehen dürfen! Der Herbst hält oft Überraschungen bereit. Ich freue mich, euch kennenzulernen!“ Nun begannen die Nebelschnuffelchen, ein Lied zu singen. Es klang wie das Rauschen der herbstlichen Bäume und das Flüstern des Windes, nach knackenden Ästen und wirbelnden Blättern. Ein Lied, was es so nur von den Herbstwesen des magischen Waldes geben kann.
Die Knubbelgnome holten hinter ihren Rücken ein kleines Körbchen hervor. Einige der Herbstwesen öffneten ihre Taschen oder griffen in ihre Umhänge. Jede und Jeder von ihnen legte ein herrlich buntes Herbstblatt hinein und dann überreichte Grauli es dem Wichtel Emil.
„Als besonderes Zeichen unserer Verbundenheit mit euch, dem Dorf und dem magischen Wald haben wir hier ein kleines Geschenk für euch: In diesem Körbchen findet ihr Herbstblätter in den schönsten Farben. Jedes Blatt hat eine einzigartige Bedeutung. So steht das leuchtende Orange für Mut, das tiefe Rot für die Liebe, das strahlende Gelb für Freude und das sanfte Braun für Geborgenheit. Bewahrt diese Blätter gut auf und sie werden euch Kraft und Glück schenken. Ganz besonders …“, Grauli wies auf Emilias dicken Babybauch „… für euren Nachwuchs.“
Nun flüsterte Knubbelgnom Knöpfchen: „So könnt ihr den Herbstzauber in euren Alltag und in euer Dorf bringen.“
Nun kam wieder ein kühler Wind auf und von einem Augenblick zum nächsten waren die Herbstwesen verschwunden. Nur noch die Gruppe aus Pfifferlingen stand auf dem Waldweg.
Schweigend und nachdenklich machten sie sich auf den Weg nach Pfifferlingen, die Herzen sangen voller Erinnerungen an diese Begegnungen im Wald.
In dieser Nacht kam der erste Frost.
„Ob wohl heute Nacht der Blätterdrache kommt?“, dachte Jonne beim Einschlafen. Dass man die magischen Wesen nicht immer sehen kann, heißt ja nicht, dass sie nicht da sind.